Die Könige und die Katholiken: Auf preußischen Spuren zwischen Münster, Selm und Hamm
Die Zeit, in der Teile Westfalens unter preußischer Herrschaft standen, ist wechselvoll und reicht vom frühen 17. Jahrhundert über die Zeit der Industrialisierung bis zur Auflösung des preußischen Staates, was praktisch schon mit dem Autonomieverlust im Zweiten Weltkrieg der Fall war, faktisch aber erst von den Alliierten 1947 realisiert wurde. Während sich einige Regionen an neu gewonnenen Privilegien erfreuten, wurden andere nur widerwillig Preußen. Für das Netzwerk „Preußen in Westfalen“, gegründet auf Initiative des Landschaftsverbandes Westfalen Lippe (LWL), begab ich mich auf die Suche nach preußischen Spuren in Westfalen. Dafür hat das Netzwerk verschiedene Touren in unterschiedliche Regionen Westfalens zusammengestellt. Ich habe zwei davon ausprobiert: Meine erste Reise führte mich ins Ruhrgebiet. Danach erkundete ich die Region um Münster, Selm und Hamm mit ihren idyllischen Landstrichen und sehenswerten Städten. Dabei besuchte ich das Gustav-Lübcke-Museum in Hamm, Schloss Cappenberg in Selm, das Stadtmuseum Münster, das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster und Burg Hülshoff in Havixbeck. Am Wegesrand liegt außerdem das Wolfgang Borchert Theater in Münster. Meine Eindrücke beschreibe ich hier im Blogpost.
Gute Preußen, böse Preußen
Während Hamm schon seit 1609 zu Preußen gehörte, wurde das nur dreißig Minuten entfernt gelegene, katholische Münster erst Anfang des 19. Jahrhunderts zwangsweise preußisch. Diese unterschiedlichen Hintergründe bestimmten auch immer wieder den weiteren geschichtlichen Verlauf und vor allem die Haltung der Einwohner zu Preußen. Während die Einen mit Stolz dazugehörten, fühlten sich die Anderen noch lange Zeit von der „Fremdherrschaft“ unterdrückt und übten sich immer wieder in Protest. Mehrmals begegneten mir an verschiedenen Orten interessante historische Persönlichkeiten wie Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757–1831) und die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848).
1. Halt: Gustav-Lübcke-Museum in Hamm
Von der stolzen Garnisonsstadt zur Industriemetropole
Das Gustav-Lübcke-Museum, das ganz in der Nähe des Bahnhofs liegt, ist schon architektonisch ein Blickfang. Die geschwungene Backsteinfassade steht auf weißen Säulen und scheint wie eine Welle in die Innenstadt zu schwappen. Das Museumsgebäude wurde vom dänischen Architekturbüro Jørgen Bo und Vilhelm Wohlert konzipiert, das sich schon 1953 durch den Bau des Louisiana Museum of Modern Art hervorgetan hat. Die Ausstellungen ziehen sich über mehrere Etagen und widmen sich auf 4000 Quadratmetern Fläche der Stadtgeschichte, aber auch Kunst und Design, Ur- und Frühgeschichte und altägyptischer Kunst.
Die Geschichte der Stadtgründung von Hamm liest sich wie ein Krimi, denn sie beginnt mit einem heimtückischen Mord.
„Wie dämmerschaurig ist der Wald
An neblichten Novembertagen,
Wie wunderlich die Wildnis hallt
Von Astgestöhn und Windesklagen!“
Die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, die ich sowohl in der Ausstellung im Gustav-Lübcke-Museum als auch auf Burg Hülshoff kennenlernen durfte, hat diesen Auftakt zur Stadtwerdung in ihrer Ballade „Der Tod des Erzbischofs Engelbert von Cöln“ festgehalten. Das ganze Gedicht kann man im Droste-Portal des LWL nachlesen. Ganz ausführliche Informationen zum historischen Mordfall gibt es im Portal „Westfälische Geschichte“ des LWL.
Nachdem ihr Grundherr Graf Friedrich von Isenburg am 7. November 1225 seinen Onkel, den Erzbischof Engelbert von Köln, ermordet hatte, wurde Nienbrügge dem Erdboden gleich gemacht. Die nun obdachlosen Bewohner durften sich in einem Winkel zwischen Lippe und Ahse neu ansiedeln – und der heißt heute Hamm. Aber die grausame Tat hatte noch weitreichendere Folgen: Adolf von Altena, der Vetter des Mörders, konnte den Hauptteil der Isenbergschen Rechte und Besitzungen an sich bringen und schaffte dadurch die Grundlagen für die Grafschaft Mark, später eines der wichtigsten weltlichen Territorien Westfalens.
Von Königen und Kartoffeln
Preußische Spuren findet man in Hamm schon mit Beginn des 17. Jahrhunderts, denn Hamm gehörte seit 1609 mit Unterbrechung zu Preußen, was maßgeblich das Schulwesen, das Militär, die Verwaltung und die Justiz prägte. Als sich der preußische König 1718 das Recht sicherte, den Stadtrat zu ernennen, war das ein Autonomieverlust für die Stadt.
Die Ausstellung im Gustav-Lübcke-Museum schildert die Geschichte durch interessante Exponate und viele persönliche Geschichten. Für Preußen steht sinnbildlich auch die Kartoffel: Denn 1756 versuchte Friedrich II. die noch unbekannte südamerikanische Knolle per Befehl zu etablieren. Trotz Getreidemissernten setzte sich die Pflanze jedoch erst im 19. Jahrhundert als Nahrungsmittel durch.
Preußische Meilensteine
Die Kriegs- und Domänenkammer war eine preußische Behörde, die sich um militärische Belange, Straßenbau, Schifffahrt, Personenverkehr und die Ansiedlung von Industrie kümmerte. Seit 1767 befand sich der Sitz der Deputation dieser Kammer in Hamm und bis 1796 war Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein Präsident dieser bedeutenden Verwaltungseinrichtung. Der Freiherr begegnete mir auf meinen beiden Reisen nach Westfalen immer wieder – in Essen, in Hamm, in Münster und besonders in Selm.
Schon seit 1750 bemühte sich Preußen darum, die Lippe für Holz- und Salztransporte aus Unna und für Kohlenlieferungen aus dem Märkischen schiffbar zu machen. Aber erst nach der territorialen Neugliederung im Wiener Kongress konnte der Fluss etwa seit den 1820er Jahren vollständig befahren werden.
Für die Transportwege an Land wurden im 18. Jahrhundert Wegeordnungen etabliert, die die Instandhaltung sicherstellen sollten. Natürlich wurden auf den Meilensteinen die Entfernungen in preußischen Meilen angegeben. Ein Nachbau eines solchen Meilensteins ist im Museum zu sehen, während das Original noch heute an der B1 bei Geseke steht.
Hamm als preußische Garnison
Im Dreißigjährigen Krieg wurde Hamm brandenburgische Garnisonsstadt, was sich anbot, da die Grafschaft Mark, deren Hauptstadt die Stadt Hamm war, so weit von den preußischen Kernlanden entfernt lag. 1774 ließ der preußische Generalmajor Carl Friedrich von Wolffersdorff in Hamm eine Kaserne errichten. Das war damals noch eine Seltenheit, zuvor hatten die Soldaten bei Stadtbewohnern zur Untermiete gewohnt. Die Garnison bestand bis 1884.
Ein Treffpunkt preußischer Beamter war die Freimaurerloge „Zum hellen Licht“, die auch überregional an Bedeutung gewann. Zu den Mitgliedern zählte Fürst Blücher und auch einige preußische Könige statteten den Logenbrüdern Besuche ab.
Französisches Intermezzo
Während der französischen Revolution bot Friedrich Wilhelm II. den Brüdern des hingerichteten französischen Königs in Hamm Asyl. Die späteren Könige Ludwig XVIII. und Karl X. residierten im „Nassauer Hof“. Zeitweise hielten sich rund 1400 französische Emigranten in der Stadt auf. Ludwig erklärte sich am 28. Januar 1793 in Hamm zum „Régent de France“, was zum Manifest der Gegenrevolution wurde.
Von 1808 bis 1815 gehörte Hamm zum napoleonischen Großherzogtum Berg. 1813 begann König Friedrich Wilhelm III. von Preußen den Kampf gegen Napoleon und alle männlichen Bürger wurden aufgerufen, freiwillig zu den Waffen zu greifen. Das Museum spart aber auch den weiblichen Anteil an der Geschichte nicht aus, indem es in der Ausstellung die Rolle des Hammer Frauenvereins hervorhebt, der unter anderem Lazarette unterstützte.
Nach dem Wiener Kongress wurde Hamm wieder preußisch, denn es entstand die Provinz Westfalen mit Regierungssitzen in Arnsberg, Minden und Münster. Als Ausgleich für die verlorene Rolle als Hauptstadt der Grafschaft Mark erhielt Hamm 1820 den Sitz des Oberlandesgerichts.
Mit der Stärkung des preußischen Verwaltungsstaats und in Anbetracht von sozialen Unruhen ging die Einsicht einher, dass die Öffentlichkeit die Verantwortung für verarmte Untertanen zu tragen habe. Der preußische Staat überließ die Armensorge allerdings den einzelnen Kommunen, was heute noch bei Sozialhilfe und Grundsicherung der Fall ist. 1856 weihte Friedrich Wilhelm IV. in Hamm das evangelische Friedrich-Wilhelms-Waisenhaus ein. Das Schulwesen war seit 1794 offiziell staatlich, blieb aber bis Ende des 19. Jahrhunderts stark kirchlich geprägt.
Die Industrialisierung nimmt Fahrt auf
Auch ohne Industriedenkmal stößt man im Hammer Museum auf die Industrieentwicklung, die im 19. und 20. Jahrhundert die ganze Region entscheidend prägte. Um jegliche Art von in der Region erzeugte Produkte und ab 1901 auch Kohle an den Mann zu bringen, wurden Eisenbahnstrecken und ein Hafen gebaut sowie Flüsse schiffbar gemacht. Bald konnte die Produktion nur mit Arbeitsmigranten gesichert werden. Sie kamen zunächst aus anderen preußischen Provinzen, ab den 1950er Jahren auch aus Italien, Griechenland, Spanien und der Türkei.
Im Zweiten Weltkrieg spielte Hamm keine rühmliche Rolle, was die Ausstellung nicht ausspart. Kein anderes deutsches Gericht verurteilte zwischen 1934 bis 1945 mehr Menschen in politischen Verfahren als das Oberlandesgericht in Hamm. Auch auf Grund seiner ehemaligen Funktion als Garnisonsstadt spielte Hamm eine große Rolle in der NS-Kriegsvorbereitung. Ab 1934 entstanden vier Kasernen, ein Heeresverpflegungsamt, ein Heeresbauamt, ein Offiziersheim und ein Lazarett. 1944 hielten sich über 16.800 Fremdarbeiter in der Stadt auf, auf deren Rücken der Krieg in die Länge gezogen wurde.
Seit 1975 gilt Hamm als Großstadt. Die Zechen jedoch waren bald nicht mehr rentabel. 2012 schloss das Bergwerk Ost als letzte der Hammer Zechen.
2. Halt: Stadtmuseum Münster
Ein Auf und Ab zwischen Kirche und Staat
Münster blickt auf einen völlig anderen historischen Hintergrund zurück als Hamm, obwohl die Städte so nah beieinander liegen. Denn in Münster regierte seit Ende des 12. Jahrhunderts ein Fürstbischof als weltliche Macht. Eine interessante Episode der Geschichte ist die Gewaltherrschaft der „Wiedertäufer“, eine radikale protestantische Bewegung, deren Anführer 1534 die Stadt eroberten und sich zu den „Königen der Welt“ erklärten, Kirchen, Archive und Kirchenschätze zerstörten, die Vielehe einführten und nach knapp zwei Jahren hingerichtet wurden. – Das ist Stoff für zahlreiche Bücher und Filme. Noch heute hängen die originalen Metallkörbe, in denen die Leichen der Anführer zur Schau gestellt wurden, am Turm der Lambertikirche auf dem Prinzipalmarkt.
Als Originalschauplatz des Westfälischen Friedens, der 1648 den 30jährigen Krieg beendete, gehört das Rathaus von Münster heute zum UNESCO-Weltkulturerbe. Das in der Fußgängerzone gelegene Stadtmuseum Münster zeigt bei freiem Eintritt neben verschiedenen Sonderschauen eine ausführliche und anschauliche stadtgeschichtliche Ausstellung – quasi von der Steinzeit bis zum Rock’n’Roll. Hier werden deutlich die Konflikte hervorgehoben, die mit dem preußischen Abschnitt der Stadtgeschichte einhergehen.
Denn erst 1801, als der preußische General Blücher nach dem Tod des letzten Fürstbischofs die Stadt besetzte, endete in Münster die lange Herrschaft der katholischen Fürstbischöfe. Der schon zuvor genannte Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein kam 1802 als Oberpräsident der Zivilkommission nach Münster und begann, die Zivilverwaltung nach preußischem Muster zu organisieren. Er blieb bis 1804 in der Stadt und wohnte wie Blücher im Stadtschloss. Als preußischer Ministerpräsident erkannte er nach der Niederlage gegen Frankreich, dass dem preußischen Volk bürgerliche Freiheiten fehlten. Die straff organisierte Verwaltung, hohe Steuerforderungen und harte Militärzucht kamen 1804 in der münsterschen* Bevölkerung überhaupt nicht gut an.
Einschub: Heißt es nun die münsteraner, die münsterische oder die münstersche Bevölkerung?
Spontan hätte ich gesagt: „die münsteraner Bevölkerung“. Aber im Stadtmuseum war von „münsterisch“ die Rede – ich bin beim Besuch direkt drüber gestolpert. Per Internet-Recherche erfuhr ich, dass alle drei Varianten möglich sind, sich die Einwohnerinnen und Einwohner wohl aber mehrheitlich „münstersch“ nennen!
Bekanntlich verlor Preußen zunächst gegen Napoleon, der seinen Schwager Joachim Murat als Großherzog von Berg einsetzte. Doch die Preußen kamen nach dem Wiener Kongress zurück und regierten weiter recht ungeschickt, indem sie den katholischen Bürgern protestantische Verwalter vor die Nase setzten. Das blieb nicht ohne Folgen. Das Museum vermittelt sehr gut die Konflikte zwischen Staat und Kirche. Das münstersche Bürgertum blieb lange Zeit katholisch-konservativ und großdeutsch-antipreußisch. Als 1848 die Abgeordneten der ersten Nationalversammlung gewählt wurden, votierte man in Münster für den Bischof. Auch später, als es zwischen 1871 und 1884 zu einem regelrechten Kulturkampf zwischen Staat und Kirche kam, tat sich die Stadt als Hochburg der kirchennahen Zentrumspartei hervor.
Und wieder war es die industrielle Entwicklung nach 1871, die den Preußen zu Hilfe kam. Denn erst die neue relative wirtschaftliche Sicherheit der Jahre 1890 bis 1900 milderte die Distanz zwischen Bevölkerung und preußischem Staat. 1907 wurde Wilhelm II. schließlich begeistert in Münster begrüßt. Durch den Ausbau Münsters zum regionalen Oberzentrum wuchs die Stadt zur Großstadt. Der Stadthafen mit Anschluss zum Dortmund-Ems-Kanal wurde 1896 bis 1898 gebaut.
Obwohl gerade neuere Geschichte schwer zu vermitteln ist, zeigt das Museum nicht ohne Stolz, dass Münster sich im Dritten Reich zur Zeit des Nationalsozialismus anders positionierte als die meisten deutschen Städte. Zu danken war dies sicher ihrem katholischen Glauben und dem obersten Hirten, einer der bekanntesten Persönlichkeiten der Stadtgeschichte: Clemens August Graf von Galen, von 1933 bis 1936 Bischof von Münster verurteilte schon 1934 die NS-Rassenlehre in seinen Hirtenbriefen scharf und wandte sich später öffentlich gegen die Euthanasie-Verbrechen. Die demonstrierte Solidarität der Bevölkerung schützte ihn vor Verhaftung und Tod.
Nach dem Krieg wurde die von rund hundert Luftangriffen zu 92 Prozent zerstörte Altstadt mit großem Engagement der Bürger wieder aufgebaut, was das Stadtbild heute entscheidend prägt.
3. Halt: Burg Hülshoff – Center for Literature
Ein „entsetzlich gelehrtes Frauenzimmer“
Burg Hülshoff ist ein beschauliches, typisch westfälisches Wasserschloss mit weitläufigem Landschaftspark. In der Burg kann man sich die original eingerichteten Biedermeierzimmer mit Unterstützung von einem gut produzierten Audio-Guide anschauen. In dieser Umgebung sieht man die Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, die hier aufgewachsen ist, nahezu lebendig vor Augen. In einer Zeit voller Umwälzungen, zwischen Französischer Revolution, Herrschaft Napoleons, Wiener Kongress und beginnender preußischer Herrschaft bot das Familienleben im Stil des Biedermeiers einen Rückzugsort.
In eine Fensterscheibe gekratzt erinnert ein Schillerzitat an die eigenwillige Frau, deren Eltern ihr die Lektüre Schillers eigentlich verboten hatten. Der Schwager nannte die bekannteste deutschsprachige Dichterin des 19. Jahrhunderts ein „entsetzlich gelehrtes Frauenzimmer“.
Die 1797 geborene Schriftstellerin lebte 30 Jahre auf Burg Hülshoff, heiratete nie und zog nach dem Tod ihres Vaters in das nahe gelegene Rüschhaus. Die Dichterin richtete sich hier ein und nannte den Ort ihr „Schneckenhäuschen“. Eine adlige Frau, die sich vollständig dem Schreiben – damals eine reine Männerdomäne – widmete, galt als unschicklich. Unter Klarnamen veröffentlichte Annette von Droste-Hülshoff erst in ihren späteren Lebensjahren. Trotz ihrer Zurückgezogenheit zeugen ihre Texte von einem wachen und aufmerksamen Blick auf ihre Zeit.
„Fesseln will man uns am eignen Herde!
Unsre Sehnsucht nennt man Wahn und Traum
Und das Herz, das kleine Klümpchen Erde,
Hat doch für die ganze Schöpfung Raum.“
Annette von Droste-Hülshoff im Gedicht „Unruhe“ von 1816
Im Park von Burg Hülshoff gibt es eine kleine Orangerie, einen Tiergarten, eine Droste-Büste sowie zwischen Rhododendren und Hortensien viele fotogene Blicke aufs Schloss. Die beiden Wohnsitze verbindet heute ein von einer App begleiteter Lyrik-Wanderweg. Schön finde ich den Hinweis auf dem Wanderweg-Schild: „Am besten ladet ihr euch die App auf eure mobilen Geräte, bevor ihr mit der Erkundungstour startet. Denn in der Droste-Landschaft befindet sich das Mobilfunknetz noch auf dem Stand von 1797.“ Auf den sieben Kilometern zwischen Burg Hülshoff und Rüschhaus begegneten mir mehrere Störche, Kaninchen, Eichhörnchen, Kühe, Pferde, Esel und Alpakas.
Auch ohne App ist der Weg schön. Unterwegs gibt es Stelen mit Gedichten von Annette von Droste-Hülshoff und Episoden aus ihrem Lebensalltag. Ergänzt werden sie durch literarische Beiträge zeitgenössischer Autorinnen und Autoren. Man erfährt, dass zu Zeiten der Dichterin unterwegs eine verfallene Burgruine stand und das kleine Flüsschen Aa zum unüberwindbaren Hindernis werden konnte.
Zwischenstopp: LWL-Museum für Kunst und Kultur
Der Grundstein der Sammlung des LWL-Museums für Kunst und Kultur in Münster wurde schon in der preußischen Vergangenheit gelegt und damit wird das Museum selbst zu einem Zeitzeugnis dieses Teils der westfälischen Geschichte. Nach den großen Umbrüchen zu Beginn des 19. Jahrhunderts bemühten sich der Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, Abteilung Münster, von 1825 und der 1831 gegründete Westfälische Kunstverein um die Bewahrung des – auch von der durch Preußen vorangetriebene Säkularisation – bedrohten Kulturerbes. Der Westfälische Kunstverein rettete eine Vielzahl Kunstschätze aus den katholischen Kirchen, die enteignet worden waren. Der Altertumsverein sammelte dagegen vor allem archäologische Funde, Münzen, Bücher, Karten und andere landesgeschichtliche Dokumente. Beide Vereine verfolgten schon damals das Ziel, ein Museum zu errichten.
Das wiederum passte zur preußischen Kulturpolitik, die schon seit 1815 die Gründung vaterländischer Museen förderte. Schon 1836 eröffnete ein erstes Museum. 1908 ging dessen Sammlung in ein neu gegründetes Landesmuseum für die Provinz Westfalen ein, das in einem prächtigen Gebäude im Stil der Neorenaissance residierte, dem heutigen Altbau des Museums. Der Erweiterungsbau nach einem Entwurf des Architekten Hans Spiertz konnte 1974 eröffnet werden. Der im September 2014 eröffnete Neubau des LWL-Museums für Kunst und Kultur präsentiert die hochkarätige Sammlung auf neue Weise. Die gesamte, wechselhafte Museumsgeschichte kann man auf der Museumswebsite nachlesen.
Die Ausstellung im LWL-Museum für Kunst und Kultur ist heute durchgängig zweisprachig gehalten und versieht die Kunstepochen jeweils mit einer historischen Einordnung in die Kunst und Kultur der jeweiligen Zeit. Zu den Kunstwerken aus 1000 Jahren Kunstgeschichte gibt es Angaben zur Provenienz. Die Ausstellung setzt den Fokus besonders auf lokale Künstler der jeweiligen Epochen.
4. Halt: LWL-Museum aus Schloss Cappenberg
Vom Kloster zum Alterssitz des preußischen Staatsministers
Schloss Cappenberg gilt als Originalschauplatz preußischer Geschichte, denn es war der Altersruhesitz des preußischen Beamten Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein, dessen Wirken Westfalen nachhaltig prägte. Von seinem Leben und Wirken habe ich auch im Ruhr-Museum in Essen, im Gustav-Lübcke-Museum in Hamm und im Stadtmuseum Münster lesen können.
Cappenberg, ursprünglich als Burg erreichtet, wurde schon 1121 zum ersten Prämonstratenserkloster auf deutschem Gebiet umgewidmet, nachdem sich der Besitzer nach einem Kriegserlebnis von weltlichen Dingen abgekehrt hatte. Beeindruckend ist der vergoldete Barbarossakopf aus der Zeit um 1160, der zum Schatz der romanischen Schlosskirche gehört. Die vergoldete Büste war ein Geschenk des Kaisers an seinen Patenonkel Graf Otto von Cappenberg. Auch die Kirche selbst ist bedeutend, denn sie ist eines von nur zwei romanischen Kirchengebäuden in Westfalen. Bis Jahresende wird sie, genau wie das Schloss, grundlegend saniert. Ein Besuch nach Abschluss der Bauarbeiten lohnt sich definitiv – und dann feiert Cappenberg das 900jährige Jubiläum der Klostergründung.
Schon 1708 wurde für Propst und Konvent die dreiflügelige Schlossanlage errichtet. Als das Kloster 1803 im Zuge der Säkularisierung aufgelöst wurde, ging es in preußischen Staatsbesitz über. Der protestantische Freiherr vom und zum Stein erwarb die Domäne durch Tausch, während die Kirche zwar preußisches Eigentum wurde, der katholischen Gemeinde aber zugänglich blieb. Der Freiherr renovierte die Anlage und bewahrte sie vor dem Verfall. Er ließ auch einen prachtvollen Park anlegen. Noch heute befinden sich auf Cappenberg das Archiv des Freiherrn und das Stiftsarchiv.
Das Anwesen ist in Privatbesitz. Es gibt ein Museum – eine Außenstelle des LWL-Museums für Kunst und Kultur in Münster, Theater, Gastronomie und einen Aussichtsturm. Seit einigen Jahren baut das Weingut Kranitz auf dem Schlossberg wieder Wein an. Einen idyllischeren Abschluss für meine Bloggerreise als den Spaziergang übers Schlossgelände konnte ich mir kaum wünschen.
Weitere Reisetipps auf preußischen Spuren in Westfalen:
DER KAISER UND DIE KOHLE: AUF PREUSSISCHEN SPUREN IM RUHRGEBIET – Marlene Hofmann
VON KASERNEN, GLÄSERN, KAISERN UND EINER NEUEN STADT – Dr. Anja Kircher-Kannemann
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AUF DEN SPUREN DER PREUSSEN IN WESTFALEN I – Anke von Heyl
AUF DEN SPUREN DER PREUSSEN IN WESTFALEN TEIL II – Anke von Heyl
Weiterführende Links und Adressen:
Gustav-Lübcke-Museum
Neue Bahnhofstraße 9, 59065 Hamm
museum-hamm.de
Stadtmuseum Münster
Salzstraße 28, 48143 Münster
stadtmuseum-muenster.de
Burg Hülshoff – Center for Literature
Schonebeck 6, 48329 Havixbeck
burg-huelshoff.de
LWL-Museum für Kunst und Kultur
Domplatz 10, 48143 Münster
lwl-museum-kunst-kultur.de
Schloss Cappenberg
59379 Selm
stein-cappenberg.lwl.org
Hinweis: Der Auftraggeber dieses Artikels und der zugehörigen Bloggerreise ist das Netzwerk „Preußen in Westfalen“ des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), gefördert durch: Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen