Der Kaiser und die Kohle: Auf preußischen Spuren im Ruhrgebiet
Warum stattete Kaiser Wilhelm II. der Stadt Essen 1896 einen Überraschungsbesuch ab? Und inwiefern kann man in den Industriemuseen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) preußisches Erbe entdecken? Für das Netzwerk „Preußen in Westfalen“ machte ich mich auf die Suche nach preußischen Spuren in Nordrhein-Westfalen und erkundete dabei eindrucksvolle Industriebauten. Meine Reise begann ich im Ruhr Museum in Essen. Danach besuchte ich das LWL-Industriemuseum Zeche Zollern in Dortmund, das Hoesch-Museum in Dortmund und anschließend das LWL-Industriemuseum Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop. Wer noch weiter auf Spurensuche in dieser Region gehen möchte: Die LWL-Industriemuseen Zeche Hannover, Henrichshütte-Hattingen und Zeche Nachtigall sowie der Bergbauwanderweg im Muttental liegen auf dieser Route am Wegesrand.
„Kalte Ente“ in Essen
Ich war vorher noch nie in Essen oder Dortmund. Als mein Großvater von meiner Tour erfuhr, fiel ihm eine Anekdote aus seiner Kindheit ein: Sein Vater reiste nämlich 1938 mit einigen Nachbarn zusammen aus Thüringen zur zweiten Reichsgartenschau im Grugapark nach Essen. Hinterher hatten die Herren Hunger und bestellten in einem Lokal „Kalte Ente“. Sie wunderten sich noch, wie der kalte Entenbraten für drei Männer auf dem kleinen Gartentisch Platz finden sollte. Wahrscheinlich sind sie hungrig geblieben – denn hinter der Verballhornung vom „kalten Ende“ der Mahlzeit steckt eine süße Bowle aus Wein und Sekt.
Die Nachricht von der „Kalten Ente“ erreichte mich leider erst nach meiner Reise, sonst hätte ich natürlich aktiv danach gesucht.
Wie, das Ruhrgebiet war preußisch?
Beim Stichwort Preußen denken viele an dunkelblaue Uniformen, überdimensionierte Schnurrbärte und Disziplin ohne Widerrede. Mit diesen Klischees spielt auch das Netzwerk „Preußen in Westfalen“, auf dessen Flyer und Website Leute mit preußenblauen Schnauzbärten oder Pickelhaube posieren. Allerdings verbindet man Preußen vor allem mit dem Kernland Brandenburg. Dabei war es lange Zeit ein territorialer Flickenteppich, der spätestens seit der Neuordnung Europas im Wiener Kongress 1815 auch Westfalen mit einschloss. Auf dieses geschichtliche Erbe will das Netzwerk „Preußen in Westfalen“ verstärkt Aufmerksamkeit lenken.
1. Halt: Ruhr Museum
Das Ruhr Museum auf dem Gelände des UNESCO-Welterbe Zeche Zollverein in Essen erzählt detailreich und anschaulich die Geschichte des Ruhrgebiets. Die Kohlezeche Zollverein war einst die größte und modernste der Welt. Das Areal ist komplett erhalten und wird heute ganz unterschiedlich und vielseitig genutzt – zum Beispiel befindet sich das Red Dot Design Museum im ehemaligen Kesselhaus der Zeche Zollverein.
Durch die Größe des Geländes und die vielen verschiedenen Parkmöglichkeiten an dessen Rändern hatte ich zunächst Orientierungsschwierigkeiten, das Museum zu finden. Unterwegs fuhr dann eine kleine Bahn mit Touristen an mir vorbei und später fand ich einen Infopunkt, an dem es Karten und Lagepläne gab – aber bis dorthin fehlte eine Beschilderung für Ortsunkundige. Als Tipp am Rande: Immer den Hauptparkplatz wählen!
Die Zeche per App erkunden
Zum Welterbe Zeche Zollverein gibt es übrigens auch eine neue App mit Infos, Lageplan und Augmented Reality-Elementen. Die habe ich leider erst vor Ort entdeckt, wo mein Speicherplatz für den Download nicht ausreichte. Es empfiehlt sich daher, die App schon zu Hause herunterzuladen.
Das Ruhr Museum befindet sich mittendrin im Welterbe – nämlich in der ehemaligen Kohlewäsche, in die sich die moderne Museumsarchitektur farblich und gestalterisch passend einfügt. Mir hat gefallen, wie man als Besucher über eine hochofen-orangefarbene Rolltreppe wie über ein Förderband ins Gebäude hineinfährt. Auch das orange-beleuchtete Treppenhaus im Inneren knüpft formschön an dieses Bild an. Vom Dach aus blickt man übers Ruhrgebiet. Die Ausstellung im Ruhr Museum ist umfangreich, multimedial und zweisprachig auf Deutsch und Englisch. Sie erzählt die Regionalgeschichte eines der größten Ballungszentren Europas an hand persönlicher Schicksale und zahlreicher Details. – Wer will, kann hier den ganzen Tag verbringen!
Die Preußen erkannten das Potential
Kohle wurde im Ruhrgebiet zwar schon seit dem Mittelalter abgebaut. Aber erst die Preußen erkannten und nutzten ab dem 18. Jahrhundert das volle wirtschaftliche Potential der Region aus. Ihre Reformen – Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit, Bergbauverordnungen – ebneten der Industrialisierung den Weg. Damit einher ging, dass der preußische Staat 1766 den Eigentümern der Kohlezechen die Leitung entzog und dafür seine Beamten einsetzte.
Menschen, die Spuren hinterlassen haben:
Exemplarisch möchte ich einige Persönlichkeiten hervorheben, die mir in der Ausstellung aufgefallen sind: Ein preußischer Staatsdiener, dessen Name mir immer wieder begegnete, ist Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein (1757–1831). Er setzte sich unter anderem für den Chausseebau ein und für die Schiffbarmachung der Ruhr. Ihn „traf“ ich im Ruhr Museum, aber auch auf meiner zweiten Tour nach Münster, Selm und Hamm.
Eine interessante Geschäftsfrau muss Maria Kunigunde von Sachsen (1740–1826), letzte Fürstäbtissin von Essen, gewesen sein. Die Prinzessin von Polen, Litauen und Sachsen erhielt ihr Amt im Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis des Heiligen Römischen Reiches, um den Einfluss der Wettiner im dortigen Landkreis zu mehren. Als Fürstäbtissin in Essen und Thorn bekam sie Sitz und Stimme im Reichstag, alle Rechte und Pflichten einer Reichsfürstin und Immunität gegenüber der weltlichen Gewalt. Mit der preußischen Besetzung 1802 begann auch in Essen die reichsrechtliche Säkularisation – das heißt die staatliche Einziehung kirchlicher Güter. Die Äbtissin verlor dabei ihre politisch-weltlichen Befugnisse, blieb aber im Besitz ihrer geistlichen Hoheitsrechte. Der preußische König profitierte von dieser Umverteilung erheblich.
Besonders beeindruckend an der Prinzessin finde ich aber, dass sie auch eine geschickte Unternehmerin war. Beispielsweise investierte sie in den Chausseebau, den sie durch Nutzungsgebühren mehr als refinanzierte. Als Privatunternehmerin verkaufte Maria Kunigunde ihre Chaussee, die als wichtigste Straßenverbindung der Region von der Mark nach Wesel führte, 1803 für 45.000 Reichstaler an das Königreich Preußen. Die Prinzessin interessierte sich nicht nur für die sich entwickelnde Schwerindustrie im Ruhrgebiet, sondern investierte auch in Eisenhütten. Ihre Hüttenanteile verkaufte sie später gewinnbringend an die Brüder Haniel.
Franz Haniel (1779–1868) erschloss neue Kohlefelder, indem es ihm 1834 gelang, erstmals das bislang als undurchdringlich geltende Deckgebirge der Steinkohle zu durchdringen. Er gründete 1847 die Zeche Zollverein. Für seine Verdienste ernannte ihn das Königshaus zum Geheimen Kommerzienrat.
Wachstum und Weltkriege
Nicht zuletzt durch die Zugehörigkeit zum weitläufigen preußischen Staatsgebiet wanderten bereits im 19. Jahrhundert zahlreiche Arbeiter ins Ruhrgebiet ein. Viele von ihnen stammten aus Ostpreußen im heutigen Polen, die sogenannten „Ruhrpolen“. Die Bevölkerungszahl wuchs von unter einer Million auf über drei Millionen und es entstand eine europaweit einzigartige Ansammlung von Großstädten.
Zwischen Großindustriellen und Staat entstanden enge Verflechtungen mit staatlichen Aufträgen und Kartellen mächtiger Konzerne. In den Weltkriegen wurde die Industrie des Ruhrgebiets zum Motor der Aufrüstung und hinterher zum Zentrum des Wiederaufbaus. Auch die Gegenwart mit den Herausforderungen des Strukturwandels spart das Museum nicht aus und wie immer hilft es ungemein, die Vergangenheit zu kennen, um die aktuellen Herausforderungen zu verstehen.
Der Kaiser und der „Kanonenkönig“
Zu den ersten Pionieren zählt auch Friedrich Krupp (1787–1826), der mit der Herstellung von Gussstahl eine durch Napoleons Kontinentalsperre entstandene Marktlücke füllte. Sein Sohn Friedrich Alfred baute das Familienunternehmen später zum zeitweise größten Industrieunternehmen Europas aus. Die Kruppsche Gussstahlfabrik avancierte im 19. Jahrhundert – neben der Herstellung von Eisenbahnschienen – zum größten Waffenproduzenten ihrer Zeit, wofür ihm die Zeitschrift „Gartenlaube“ den Beinamen „Kanonenkönig“ gab. Die Zeitschrift orakelte 1866:
„Zwischen den beiden Halbgöttern der militärischen Production, Krupp und Dreyse [Zündnadelgewehre aus Sömmerda], scheint eine Art Gegensatz zu bestehen, da Letzterer darauf hin arbeitet, es nicht nur der Infanterie, sondern auch der Artillerie im massenhaften Zerstörungswerke immer leichter zu machen, während Ersterer darauf hinarbeitet, Kanonen und Kugeln zu furchtbarer Größe anzuschwellen. Sie Beide arbeiten auch nach geschlossenem Frieden mit ungeschwächten Dampf- und Menschenkräften an immer größerer Vervollkommnung und Vermehrung der furchtbarsten Zerstörungsinstrumente des Krieges und haben in der ganzen civilisirten Welt alle Collegen, alle Großmächte zu der fieberhaftesten Thätigkeit und Production angefeuert, so daß wir leider noch auf keinen dauernden Frieden rechnen können, wohl aber befürchten müssen, daß der nächste Krieg alle andern an Furchtbarkeit und großartiger Zerstörungskraft übertreffen werde.“ („Der Kanonenkönig“, in: „Die Gartenlaube“ Heft 52, Leipzig 1866, S. 819-821, zum Volltext bei Wikisource)
Kaiser Wilhelm II. unterhielt enge Beziehungen zur Familie Krupp und besuchte sie mehrfach in Essen. So auch 1896, als der Kaiser im Anschluss an ein Zusammentreffen bei den Krupps der Essener Stadtverordneten-Versammlung einen spontanen Besuch abstattete. Die Episode unterstreicht, welche enge Verbindungen zwischen den politischen Eliten der Stadt und dem preußischen Kaiser bestanden. 1902 führte er den Trauerzug des überraschend verstorbenen Friedrich Alfred Krupp durch die Essener Straßen an.
2. Halt: Hoesch-Museum
Die Geschichte dieser Familie begegnete mir nicht nur im Ruhr Museum, sondern vor allem auch im Hoesch-Museum in Dortmund, das unter anderem auch vom ThyssenKrupp-Konzern und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung maßgeblich finanziell gefördert wird. Das vereinsbetriebene Museum liegt direkt am Eingang zum Werksgelände der ThyssenSteel Europe AG / Westfalenhütte. Während des Besuchs der Ausstellung zur Geschichte der Stahlerzeugung im Ruhrgebiet konnte ich im Hintergrund das Hämmern und Wummern der dort vor sich gehenden Arbeiten hören. Die Geräuschkulisse und die historischen Firmengebäude passten ganz wunderbar zum Ausstellungsthema, das die Stahlgeschichte anschaulich von der Vergangenheit bis zur Gegenwart behandelt. Natürlich wollte ich auch das 3D-Stahlwerk ausprobieren, bei dem ich virtuell einzelne Arbeitsschritte steuern konnte – eine nette Ergänzung des von Natur aus sehr technischen Themas.
Ausgangspunkt ist dabei die 1874 gegründete Firma Hoesch, einst das ertragreichste Stahlunternehmen Dortmunds. Auch Hoesch profitierte von der Rüstungsindustrie und dem Ausbau der Infrastruktur in den Weltkriegen. Durch den Einsatz von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen – ein dunkles Kapitel der Firmengeschichte – wurde die Produktion nicht nur aufrecht erhalten, sondern der wirtschaftliche Erfolg der Firma sogar noch gefestigt. Zum Werksgelände gehörte eine eigene Kokerei, die Westfalenhütte, um die Kohleversorgung zuverlässig zu garantieren. 1966 fusionierten die Firmen Hoesch und Hörder-Hüttenunion zu ESTEL, das 1991 von Krupp aufgekauft wurde. Neben dem Museum erinnern der nahe gelegene Hoeschpark an das einstige Imperium, das in einem eigenen Stadtviertel seinen Mitarbeitern, den „Hoeschianern“ weitläufige Sport- und Erholungsanlagen, aber auch zahlreiche zukunftsweisende Sozialleistungen und Absicherungen bot.
Inzwischen liegen große Teile des einstigen Firmengeländes brach und es werden neue Nutzungskonzepte gesucht. Die Hochöfen, das Stahlwerk und die Kokerei der Westfalenhütte haben chinesische Arbeiter abgebaut und wiederverwertet. Andere Anlagen wurden gesprengt. Trotzdem ist die Dortmunder Stahlgeschichte noch nicht beendet, denn noch immer wird in modernen Produktionsanlagen Stahl hergestellt.
3. Halt: Schiffshebewerk Henrichenburg
Das alte Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop ist eine der monumentalsten, noch sichtbaren Spuren des preußischen Erbes in Westfalen – nicht nur, weil hier seit 120 Jahren der preußische Adler an den eindrucksvollen Türmen prangt und über das Ruhrgebiet schaut.
Ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt
Kaiser Wilhelm II. persönlich weihte das Schiffshebewerk Henrichenburg und den Dortmund-Ems-Kanal am 11. August 1899 ein. Das Hebewerk, ein Aufzug für Schiffe, ist das größte Bauwerk am Dortmund-Ems-Kanal, der in nur sieben Jahren Bauzeit fertig gestellt wurde, obwohl damals noch per Hand gegraben werden musste. Erst mit der Fertigstellung des Hebewerks konnte der Kanal bis zum Dortmunder Hafen befahren werden. 1914 wurde auch der Rhein-Herne-Kanal fertiggestellt. Vom Unterwasser des Hebewerks geht es links zum Rhein und rechts zur Nordsee.
Wichtig war der Ausbau dieser Wasserstraßen, um bei der wachsenden Produktivität des Ruhrgebiets die Eisenbahnwege zu entlasten. Die an der Ruhr geförderte Kohle, die im ausgehenden 19. Jahrhundert zunehmend Konkurrenz durch englische Importkohle erhielt, konnte so schneller transportiert werden. Die Stahlindustrie erhielt ebenfalls besseren Anschluss an die Transportwege und konnte ihren Standortnachteil gegenüber den Hüttenwerken am Rhein ausgleichen.
Die westdeutschen Kanäle, an die der Dortmund-Ems-Kanal direkt anknüpft, sind immer noch bedeutend für den Warenverkehr. Rund 40.000 Schiffe benutzen sie jährlich, um zum Rhein zu kommen. Noch heute werden die anliegenden großen Kraftwerke mit Kohle beliefert. Während die Kohle aber inzwischen meist aus dem Ausland importiert wird, ist der Transportweg noch der gleiche. 1962 wurde in nur wenigen hundert Metern Entfernung ein neues Hebewerk gebaut. Das alte wurde 1969 stillgelegt und 1979 vom LWL vor dem Abriss bewahrt.
Am Schiffshebewerk Henrichenburg überwanden Schiffe in kürzester Zeit vierzehn Meter Höhenunterschied. Heute kann man auf die stillgelegte Anlage steigen und sich auch den rund 67 Meter langen Trog ansehen, in den die Schiffe millimetergenau einparkten, um dann gehoben zu werden. Es war weltweit das erste Schwimmerhebewerk für so große Schiffe und arbeitet nach dem Auftriebsprinzip. Von oben hat man übrigens auch eine tolle Aussicht.
Das Schiffshebewerk Henrichenburg eignet sich besonders für einen Ausflug bei schönem Wetter, denn zum Rundgang gehört ein großer Außenbereich mit zahlreichen Schiffen, Maschinen und mehreren Gebäuden. Es gibt Spielplätze, Schiffstouren und ein wenig Gastronomie. Leider war die neue Dauerausstellung noch nicht fertiggestellt, als ich dort war. Man darf aber gespannt sein.
Mehrere der Schiffe, die auf dem Museumsgelände ankern, kann man besichtigen. Auf dem Motorgüterschiff „Franz Christian“ wird unter Deck die Geschichte einer Familie erzählt, die darauf wohnte und vom Eiltransport von Massengütern lebte. Nach seiner Stilllegung in den 1970er Jahren übereigneten die Besitzer das Schiff samt Inventar und Familienerinnerungen dem LWL.
Wer möchte, kann das Gelände per App erkunden. Die fungiert einerseits als Lageplan und andererseits als Audioguide, durch den man auf Deutsch und Englisch Hintergrundinfos zu den einzelnen Objekten bekommt. Das ist nicht zwingend notwendig, denn es gibt auch Schilder, auf denen man die Informationen nachlesen kann. Für Kinder gibt es in der App ebenfalls eine Audio-Tour sowie ein kleines Quiz. Wer alle Fragen richtig beantwortet, bekommt an der Museumskasse ein Diplom ausgestellt.
4. Halt: Zeche Zollern
Meine letzte Station war das LWL-Industriemuseum Zeche Zollern. Die Zeche sollte einst das Kaiserreich, nach dessen Herrscherdynastie sie benannt ist, eindrucksvoll repräsentieren. (Überhaupt ist es interessant, wie viele Namen ehemaliger Zechen noch heute an die preußische Vergangenheit erinnern, darunter auch die Zeche Minister Stein (siehe oben!) in Eving und das Steinkohlebergwerk „Friedrich der Große“.)
Verspielte Türmchen und bunte Jugendstilfenster
Die Zeche Zollern entstand zwischen 1898 und 1904 als Prestigeobjekt der Gelsenkirchener Bergwerks AG, die durch den Bau dieser technisch-innovativen Schachtanlage zum Marktführer aufstieg. Tatsächlich ist sie eine der schönsten Zechen, die ich angeschaut habe! Sie liegt in einem ruhigen Vorort Dortmunds, früher wohnten in den Villen an der Allee, die auf das Werkstor zuführt, die hochrangigeren Angestellten. Im umliegenden Viertel kann man noch erhaltene Arbeiterhäuser der Kolonie „Landwehr“ von außen betrachten und zur Halde wandern.
Auf dem Gelände der Zeche empfangen den Besucher eine hübsche Grünanlage und roter Backstein. Das ehemalige Verwaltungsgebäude und die Lohnhalle zieren bunte Jugendstilfenster, Türmchen und prunkvoll ausgeschmückte Backsteinfassaden. Der absolute Blickfang ist das eindrucksvolle Jugendstilportal der Maschinenhalle.
In den 1960er Jahren entging die Zeche Zollern nur knapp dem Abriss. Nach Protesten engagierter Bürger wurde sie stattdessen zu einem Pionierprojekt der Industriedenkmalpflege in Deutschland: Sie ist der erste Industriebau Deutschlands, der überhaupt unter Denkmalschutz gestellt wurde.
Das Museum erzählt heute von der Ausbildung, dem Alltag und dem Leben der Bergarbeiter von der Blütezeit bis zum Niedergang des Kohlebergbaus, von der Kaiserzeit bis in die Gegenwart. An der Ausstellung hat mir gefallen, wie sehr die einzelnen Menschen und persönlichen Schicksale ins Zentrum gerückt wurden. Auch der Einsatz von Zwangsarbeitern, Kriegsgefangen und ungelernten Frauen in Kriegszeiten wird dabei nicht ausgeklammert.
Es fährt eine Kohlebahn übers Gelände und man kann auf den Schachtturm steigen und die Aussicht genießen. Die Ausstellung und das Museum sind familienfreundlich, denn es gibt nicht nur ein Restaurant und einen Spielplatz im Außenbereich, sondern auch Ausstellungselemente, die speziell für Kinder konzipiert sind.
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DIE KÖNIGE UND DIE KATHOLIKEN: AUF PREUSSISCHEN SPUREN ZWISCHEN MÜNSTER, SELM UND HAMM – Marlene Hofmann
VON KASERNEN, GLÄSERN, KAISERN UND EINER NEUEN STADT – Dr. Anja Kircher-Kannemann
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AUF DER SUCHE NACH PREUSSEN ZWISCHEN WESTMÜNSTERLAND UND NIEDERRHEIN – Dr. Anja Kircher-Kannemann
AUF DEN SPUREN DER PREUSSEN IN WESTFALEN I – Anke von Heyl
AUF DEN SPUREN DER PREUSSEN IN WESTFALEN TEIL II – Anke von Heyl
Weiterführende Links und Adressen:
Ruhr Museum
Gelsenkirchener Straße 181, 45309 Essen
ruhrmuseum.de
LWL-Industriemuseum Zeche Zollern
Grubenweg 5, 44388 Dortmund
zeche-zollern.lwl.org
Hoesch-Museum
Eberhardstr. 12, 44145 Dortmund
hoeschmuseum.dortmund.de
LWL-Industriemuseum Schiffshebewerk Henrichenburg
Am Hebewerk 26, 45731 Waltrop
schiffshebewerk-henrichenburg.lwl.org
Hinweis: Der Auftraggeber dieses Artikels und der zugehörigen Bloggerreise ist das Netzwerk „Preußen in Westfalen“ des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), gefördert durch: Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen