Virtual Reality im Museum – Anno 2017
In Sachen „Virtual Reality“ (kurz: VR) im Museum tut sich was – inzwischen auch so, dass es normale Besucher mitbekommen. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Technik preiswerter und einfacher zu handhaben geworden ist. Mit Virtual Reality wird eine computergenerierte interaktive virtuelle Umgebung in Echtzeit erlebbar. Aber wie lässt sie sich sinnvoll einsetzen und wo liegt der Mehrwert? Ich möchte ein paar aktuelle Beispiele vorstellen und lose Gedanken dazu festhalten. Ich freue mich über eine kontroverse Diskussion, denn ich weiß, dass es hierzu verschiedene Ansichten gibt.
Im dänischen Kunstmuseum Skagens Museum gab es im Sommer 2017 eine Sonderausstellung mit Stillleben und Installationen rund um den Tisch in der Kunst. Eines der Kunstwerke wurde einmal wöchentlich mit Hilfe von Virtual Reality zum Leben erweckt. Bei der Filminstallation ”Skammekrogen” (zu Deutsch in etwa ”Eselsecke”) der Künstler Mads Damsbo und Johan Knattrup Jensen saßen jeweils fünf Besucher mit VR-Brillen an einem Esstisch und nahmen an einem peinlichen, virtuellen Familienessen teil. Alle fünf Teilnehmer erlebten den Film aus unterschiedlichen Perspektiven. In diesem Fall funktionierte die Kunstinstallation nicht ohne VR-Brille. Wegen des hohen Betreuungsaufwands fanden Vorführungen nur an einem Wochentag statt.
Auch ins dänische Moesgaard Museum, das sich mit Vorgeschichte, Archäologie und Ethnologie beschäftigt, hat die VR-Technik seit 2016 Einzug gehalten. In der neuen Steinzeit-Dauerausstellung können sich die Besucher auf Bänken sitzend und mit VR-Brillen auf der Nase auf Zeitreise begeben und sitzen dann beispielsweise mitten in einer steinzeitlichen Grabstätte.
Das British Museum experimentierte bereits 2015 mit einer virtuellen Tour in die Bronzezeit.
Was in der Steinzeit-Ausstellung des Moesgaard Museums durchaus einen Mehrwert für den Besucher schafft, war in der aktuellen Sonderausstellung „Rejsen“ eher eine zusätzliche Spielerei. Die Ausstellung versucht herauszuarbeiten, was alle Menschen in allen Zeiten vereint: Geburt, Liebe, Verlust, Tod… Portraits und Film mit wunderschönen Panoramen hätten bereits genügt, auch ohne die Möglichkeit, die Orte des Films im Anschluss noch zusätzlich in Virtual Reality zu erleben. (Aber gut, so konnte ich einmal am Rand der Niagarafälle sitzen, wer weiß, wann ich das nächste Mal die Gelegenheit dazu habe!)
Im Frauenmuseum in Aarhus hatte man bis Anfang 2017 in einer Sonderausstellung über Erotik die Möglichkeit, Porno in Virtual Reality zu erleben. Diese Ausstellung habe ich leider verpasst. Über den Mehrwert dieser VR-Anwendung im Museum kann man sich sicher herzhaft streiten.
Auch in Deutschland tut sich was in Sachen VR und auf der MAI-Tagung 2017 wurden mehrere Projekte vorgestellt: darunter vom Senckenberg Naturmuseum Frankfurt, das schon drei VR-Projekte vorzuweisen hat. Beispielsweise können Besucher seit Anfang 2017 gegen eine kleine Gebühr ein Dinosaurierskelett im Museum zum Leben erwachen sehen. Ein interessantes, auf der Tagung aufgenommenes Interview mit Philipe Havlik zum Thema gibt es hier:
[embedyt] https://www.youtube.com/watch?v=6jg7TNx_w7o[/embedyt]
Auch das Städel Museum ist mit einer Virtuellen Reise ins Städel, wie es vor 200 Jahren aussah mit VR am Start: per App für zu Hause, was allerdings die entsprechende technologische Ausstattung erfordert.
Virtual Reality: Wo ist der Mehrwert für den Besucher?
In den meisten der genannten Beispiele erfährt der Besucher einen Mehrwert durch den Einsatz der VR-Technik – und das ist gut so, denn nur dann sollte die Technik Verwendung finden. Wie schon vorher bei anderen Innovationen ist die Gefahr groß, dass VR alleine deshalb zum Einsatz kommt, um zu zeigen, dass man in Sachen Ausstellungstechnik auf der Höhe der Zeit ist. Aber wie sonst könnte man Dinosaurier live erleben, eine Kunstausstellung aus dem Jahr 1878 besuchen oder mal eben mitten in einer steinzeitlichen Kultstätte stehen? Idealerweise versteht der Besucher die Inhalte der Ausstellung durch ein VR-Erlebnis besser und knüpft durch ein interaktives Erlebnis ein emotionales Band. Geschichte und Kunst wird erlebbar. Wenn dieses Erlebnis mit Ausstellungsinhalten und Exponaten harmoniert und in Dialog tritt, dann fördert es das Verstehen.
Das Museum spricht mit VR verstärkt junge Zielgruppen an, lautet beispielsweise ein Fazit des British Museum. Aber wie bei vielen anderen modernen Technologien und sozialen Medien scheint auch das nur bedingt der Fall zu sein. Laut Erfahrungen im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt begeistern sich Erwachsene genauso dafür wie Jugendliche.
Was kostet Virtual Reality?
Eine VR-Brille ist eine Art Headset, bei dem die Augen in einem schwarzen Kasten sitzen. Über Kopfhörer hört man Geräusche, wenn man den Kopf dreht, sieht man eine virtuelle Umgebung – aus allen Winkeln, sodass der Eindruck entsteht, man befindet sich wirklich an einem anderen Ort. – Wenn da nicht die dicke Brille auf der Nase wäre, die im Museum vielleicht nicht gut sitzt oder rutscht oder drückt oder das Bild nicht ganz hochauflösend ist.
Die Technik entwickelt sich rasant. Ein VR-Headset kostet ungefähr zwischen 50 und 700 Euro, nicht immer ist die Qualität brillant. Sicherlich wird diese Entwicklung so weitergehen, ausreifen, noch wirklichkeitsgetreuer und bald Normalität werden. Inzwischen gibt es sogar VR-Headsets, in die man das eigene Smartphone einlegt, die nur um die 20 Euro kosten.
Mit dem Kauf der Hardware, die Museen manchmal von Herstellern gesponsert wird, ist es aber noch nicht getan. Aufwändiger ist die Produktion animierter Inhalte für das museale VR-Erlebnis – besonders, wenn wie beim Senckenberg Naturmuseum reale Dinosaurierskelette wissenschaftlich korrekt und getreu dem neusten Forschungsstand animiert werden sollen. Als Museum kann man sich hierfür Unterstützung durch Universitäten oder Spezialfirmen holen. – Zum Beispiel als Kooperation mit der Hochschule Harz, wie Prof. Daniel Ackermann zur Museumstagung des Museumsverbands Sachsen-Anhalt neulich vorstellte. Seinen interessanten Vortrag zum Einsatz von Virtual und Augumented Reality im Museum kann man hier nachlesen.
Aber auch im Museumsalltag entstehen Extrakosten, beispielsweise durch zusätzlichen Personalaufwand, wenn wie im Senckenberg Naturmuseum oder im Skagens Museum die Besucher persönlich bei der Nutzung der VR-Technik betreut werden müssen. Und wie sieht es eigentlich mit der Hygiene aus? Im Moesgaard-Museum setzten sich innerhalb von ein paar Stunden hunderte Besucher die Brillen auf die Nase. Wie kann man sie am besten reinigen und desinfizieren? Und sollte ein Museum die VR-Technik gratis anbieten oder wie im Senckenberg Naturmuseum gegen Gebühr anbieten?
Die Aura des Originals und der digitale Besucher
Alles, was Google für sein Arts and Culture Project digitalisiert (hat), ist bereits VR-fähig. Das bedeutet, dass eine virtuelle Museumsbegehung für Museen quasi kostenfrei umzusetzen ist. Wobei hier nicht ganz klar ist, wo der Mehrwert liegt, weil man sich vor Ort immer noch ein besseres Bild der Räumlichkeiten des Museums machen kann. In Frage kommt die VR-Version eines Museums beispielsweise, wenn man Zielgruppen im Ausland ansprechen will, die in den meisten Fällen nie anreisen würden. Auf diese Art würden sie zumindest vom Museum erfahren und könnten sich einen Überblick über dessen Ausstellung verschaffen. Man könnte digital Inhalte vermitteln und weckt vielleicht auch das Interesse internationaler Fachbesucher, die irgendwann doch den weiten Weg auf sich nehmen, die reale Ausstellung ganz analog zu sehen.
Das kommt auch ein bisschen darauf an, wie ein Museum seine Vermittlungsaufgabe sieht – immerhin neben sammeln, bewahren und erforschen eine der Hauptaufgaben von Museen. Richtet man sich auch an virtuelle Besucher oder nur an Besucher vor Ort? Mit Hilfe des Internets kann ein Museum Besucher in aller Welt ansprechen. Oft wird an dieser Stelle der Diskussion auf die „Aura des Originals“ verwiesen. Diese ist unbestritten vorhanden und wird auch weiter die Hauptrolle spielen. Aber was spricht dagegen, wenn der Gesellschaft dienende, von der Öffentlichkeit finanzierte Museen ihr Fachwissen auch nicht-zahlenden Besuchern im WWW zur Verfügung zu stellen?