#Medienkompetent statt überreguliert
Seit meiner Schulzeit habe ich das Internet als Freiheitsraum begriffen, in dem ich ungehindert kreativ werden, mich ausprobieren und mich austauschen kann. Nach der anfänglichen “Anarchie”, gibt es inzwischen mehr und mehr Regeln für das World Wide Web. Natürlich zu unserem eigenen Schutz. Oder ist das Internet gerade dabei, auch in Europa weniger frei zu werden? — Ein paar Gedanken dazu, die vielleicht auch ganz gut zur Blogparade #medienkompetent im Vorfeld der Blogger-Konferenz Denkst passen. Bis 15. September 2018 könnt ihr euch beteiligen.
Vor 16 Jahren habe ich einfach zum Spaß Websites erstellt, um mich mit der Technik vertraut zu machen und die Möglichkeiten zu testen. Natürlich hab ich die “Evolution” der verschiedenen Webtools mitgemacht: von ICQ über Chatforen über StudiVZ bis hin zum WordPress.com-Blog. Viele sind wieder verschwunden, neue kommen hinzu, manche sind immer noch da. Die meisten sind – zumindest für eine Zeit lang – bereichernde Begleiter im Alltag. Über Twitter sammle ich Wissen, tausche mich aus, über WordPress.com lese ich inspirierende Artikel gleichgesinnter Blogger, über Instagram lerne ich interessante Menschen kennen und über Facebook und WhatsApp halte ich Kontakt zu ehemals “analogen” Bekannten in aller Welt. Das Internet ist für mich ein tolles Medium für Meinungsfreiheit, das sonst vielleicht übersehene Themen auf die gesellschaftliche Agenda bringen kann und Nischeninteressen einen Platz gibt.
Zuletzt wurde diese Freiheit mit der medialen Aufmerksamkeit rund um die Einführung der DSGVO erschüttert. Natürlich steht Europa im weltweiten Vergleich noch immer gut da. Aber mit Vorratsdatenspeicherung und Netzwerkdurchsetzungsgesetz” (NetzDG) sind Entwicklungen auf den Weg gebracht, die zwar einerseits unsere Sicherheit und Rechte stärken sollen, das Internet aber auch unfreier machen. Nicht nur die Organisation Reporter ohne Grenzen sieht diese Entwicklung kritisch. Hier geht es zum Länderreport Deutschland von Freedomhouse. Bedrohen auch die verschärften Datenschutzregeln die Meinungsfreiheit im Internet?
Bloggersterben dank DSGVO?
Zum Glück gibt es viele Blogger, Webseitenbetreiber und Betreiber von Social-Media-Konten, die auch nach der Einführung der DSGVO weitermachen. Aber dass sich viele, auch gerade Gelegenheitsblogger, kleine Unternehmen, Freiberufler, Künstler und beispielsweise auch Museen mit geringerer Reichweite, haben verunsichern und entmutigen lassen, ist nicht abzustreiten. Im Museumsbereich sorgte beispielsweise der Museumsverband Sachsen-Anhalt für Aufsehen, als er im Mai sicherheitshalber und auf Empfehlung des Datenschutzbeauftragten des Bundeslandes Sachsen-Anhalt seine Facebook- und Twitter-Accounts schloss. Der Blogger Ennopark hat es nach 320 geschlossenen Blogs aufgegeben, seine Liste weiter zu führen. Ich habe seit Mai 2018 Betreiber kleiner Firmenwebsites und selbst Anwaltskanzleien kennengelernt, die ihre Websites (erst einmal?) vom Netz genommen haben.
Netzpolitik hat nachgefragt, was genau die Leute verunsichert hat, weiter ihre Gedanken online zu teilen. Natürlich ist die Technik einer der Hauptgründe. Denn ein Blogger, ein Freiberufler, ein Museumsverband, ein Verein, der Betreiber eines kleinen Ladens und selbst mancher Webdesigner ist nun mal meistens kein Techniker, kein IT-Nerd und kein Programmierer. Das Phantastische an Blog-Plattformen wie WordPress, Blogger, Tumblr und Co ist ja, dass man mit fertigen Schablonen arbeitet und möglichst schnell seinem eigentlichen Anliegen, der Veröffentlichung von Inhalten, nachkommen kann.
Natürlich sollte man sich ans Urheberrecht halten und mit den Daten anderer sorgsam umgehen. Aber das sollte auch möglichst einfach möglich sein. Mir ist klar, dass nun vor allem die Betreiber von Blogger- und SocialMedia-Plattformen und die Autoren von Plugins im Zugzwang stehen. Bei vielen hat sich inzwischen einiges getan, man kann die personenbezogenen Daten, die sich durch Kommentare ansammeln, inzwischen exportieren und löschen und es gibt oft auch standardmäßig die Möglichkeit, Cookie-Banner und Datenschutzerklärungsseiten zu erstellen. Aber es gibt auch noch genügend Grauzonen, die rechtlich noch nicht fertig ausgehandelt sind – Stichwort: Social Media Embeds, eingebundene Google Maps, Videos und Nutzerstatistiken.
Keine Frage, dass das – in Kombination mit der medialen Berichterstattung zur DSGVO – die Angst vor der oft erwähnten “Abmahnindustrie” schürt. Dazu kommt, dass die Umstellung auf die von Anwälten empfohlene sicherste Lösung für Blogs viel Zeit, Rechercheaufwand und technisches Know-How erfordert. Es müssten nicht nur Cookie-Banner und Datenschutzerklärung überarbeitet werden, sondern es müsste teilweise auch nachträglich ein ganzes Archiv an Blogposts angepasst und auf Social Media-, YouTube- und GoogleMaps-Embeds untersucht werden. Für viele Gelegenheitsblogger war das in ihrer Freizeit einfach nicht zu leisten. Netzpolitik sprach auch mit kritischen Bloggern und Journalisten, die ihre Seiten offline nahmen, weil sie gerade Abmahnungen von Menschen fürchteten, die ihre Artikel nicht leiden konnten. Wenn die Abmahnung – ob berechtigt oder nicht – zur Waffe werden kann, sehe ich die Meinungsfreiheit in Gefahr.
Auch Vereine und Organisationen hat es hart getroffen, so viel Zeit und Energie in ihnen fachfremde Themenbereiche zu investieren. Es wird kritisiert, dass es an konkreter und verständlicher Handreichung von offiziellen Seiten gefehlt habe.
Sicher ist sicher ist offline?
Gerade wenn man die Aussagen und Empfehlung von einigen Datenschützern liest, bekommt man schnell den Eindruck, dass die “erwünschte” Lösung wäre, sich ganz aus sozialen Netzwerken herauszuhalten. Möchte man derzeit bei der Websitegestaltung jedes Risiko vermeiden, gehen schnell wichtige und bereichernde Funktionen verloren, um die Seite interaktiv und informativ zu gestalten. Es ist aber auch keine Lösung, seine Inhalte direkt in ein soziales Netzwerk zu verlegen, denn bei keinem erreicht man potentiell “alle” und wer weiß, ob Facebook, Twitter und Instagram in zehn Jahren noch existierten?
Selbst als Betreiber einer Facebook-Seite schwebt man seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in rechtlicher Unsicherheit. Auch hier ist das letzte Urteil noch nicht gesprochen, aber manche (siehe Museumsverband Sachsen-Anhalt) sind schon auf Nummer sicher gegangen. Man bekommt den Eindruck, dass man als Nutzer den Kopf herhalten soll, damit große Unternehmen besser unter Druck gesetzt werden können. Dabei weiß inzwischen jeder, dass Facebooks Geschäftsmodell nun einmal auf Daten beruht und dass Facebook ein Unternehmen und kein gemeinnütziger Verein ist. Niemand ist gezwungen, Facebook zu nutzen. Ein interessantes Experiment wäre, wenn Facebook oder die anderen Social Media-Plattformen eine Art Premium-Account anbieten würden, mit dem man sich vom Daten-Tracking freikaufen könnte. Wie vielen wäre der Schutz ihrer persönlichen Daten ein monatliches Abo wert? Was wäre mit denen, die sich die Nicht-Überwachung nicht leisten könnten? Und würde das Gesamtmodell Facebook dann noch funktionieren? Oder liegt die Zukunft gar in einem von öffentlichen Geldern finanzierten, weltweiten sozialen Netzwerk und wie könnte sichergestellt werden, dass dieses frei bliebe?
Warum das Internet EINFACH bleiben muss
Ich finde es falsch, soziale Netzwerke per se zu verteufeln, denn neben allen unstrittigen Problemen schaffen sie auch viele Freiheiten, vernetzen Menschen und Bewegungen und geben ihnen eine Stimme. Wir müssen das Internet mehr als bisher als einen Teil unseres gesellschaftlichen Lebens betrachten. Wir müssen sicherstellen, dass es weiterhin so barrierefrei bleibt, dass jedem auf diesem Weg der Zugang zum gesellschaftlichen Diskurs offen steht. Natürlich müssen wir uns alle eine gewisse Medienkompetenz aneignen und Risiken und Vorteile abschätzen lernen. Bildung und Aufklärung kann hier viel bewegen. Wir müssen aufpassen, dass wir durch gut gemeinte Regulierungen nicht auch die unbestreitbaren positiven Effekte einschränken, sodass die Veröffentlichung von Inhalten im Netz in Zukunft wieder mit einer Professionalisierung einhergeht, die ein “Normalverbraucher” nicht mehr leisten kann. Dann haben wir am Ende ein ähnliches Modell wie offline, wo Journalisten, Verlage, Unternehmen und Politiker als “Gatekeeper” bestimmen, was es wert ist, veröffentlicht zu werden.